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Annales gratuites Bac L : Reich-Ranicki Literaturkritik

Le sujet  2005 - Bac L - Allemand LV1 - Compréhension écrite Imprimer le sujet
LE SUJET

Literatur und Kritik

Marcel Reich-Ranicki war lange Zeit verantwortlich für die Literaturseiten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

     Ich wollte, wie jeder Kritiker, erziehen, doch nicht die Schriftsteller. Ich hatte vielmehr das Publikum
     im Auge. Um es ganz einfach zu sagen : Ich wollte den Lesern erklären, warum die Bücher, die ich für gut und
     schön halte, gut und schön sind, ich wollte sie dazu bringen, diese Bücher zu lesen.

     Im Sommer 1987 besuchten mich zwei Herren vom Zweiten Deutschen Fernsehen. Ob ich Lust hätte,
 5  für das ZDF eine regelmässige Literatursendung zu machen? Ich sagte mit Entschiedenheit : Nein. Aber die
     Herren überhörten meine Antwort. Hingegen wollten sie wissen, ob und wie ich mir eine solche Sendung
     vorstelle. Ich dachte mir. Ich werde verschiedene Bedingungen stellen, bis die Herren resigniert aufgeben. Es
     solle, sagte ich provozierend, jede Sendung mindestens 60 Minuten dauern, besser 75. In dieser Sendung, sagte
     ich, dürfe es weder Bild - noch Filmeinblendungen(1) geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus
10  Romanen, keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder, in einem Park spazieren gehend, diese Werke
     erklärten. Auf dem Bildschirm sollten nur die vier Personen zu sehen sein, die ihre Meinung über Bücher äußern
     und, wie zu erwarten, sich auch streiten würden. Ich hatte es gewagt, gegen das Gesetz(2) des Fernsehens, gegen
     die Dominanz des Visuellen zu rebellieren. Es war klar : Dies würden die beiden Herren nicht akzeptieren.
     Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion. Die zwei Herren atmeten durch die Nase tief ein, und erklärten leise :
15  "Einverstanden."

     Am 25. März 1988 wurde "Das literarische Quartett" zum ersten Mal ausgestrahlt.

     Was wollte ich mit dieser Sendung erreichen? Das "Quartett" sollte vermitteln(3) zwischen den
     Schriftstellern und den Lesern, der Kunst und der Gesellschaft, der Liter atur und dem Leben.

     War es eine Unterhaltungssendung(4) über Literatur, die ich geplant hatte? Nein, das war nicht mein
20  Ziel, aber wenn das "Quartett" viele Zuschauer amüsiert, dann freut mich das. In der Tat, wir wollen auch
     unterhalten. Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gespräch sind. Aber wir sehen es
     gern, wenn die Bücher, die wir behandeln, ins Gespräch kommen. Wir folgen nicht den Bestsellerlisten. Aber
     wir sind zufrieden, wenn die Bücher, die wir empfehlen, auf den Bestsellerlisten erscheinen.

     Zum Publikum des "Literarischen Quartetts" gehören neben Lesern und Kennern der Literatur auch
25  Menschen, die von Literatur nichts wissen wollen. Manchmal sehen sie uns dennoch zu, wohl deshalb, weil sie
     Spass an unseren Gesprächen haben und vielleicht auch an unserem Streit. Anscheinend lesen diese Zuschauer -
     oft selber von ihrem plötzlich erwachten Interesse überrascht - das eine oder andere Buch, das wir besprochen
     haben. Ich will nicht verheimlichen 5), dass mir gerade diese Zuschauer besonders wichtig sind.

     Viel wird dem "Quartett" vorgeworfen. Am häufigsten hört man, die Sendung sei banal, populistisch,
30  nichts werde hier wirklich begründet, dagegen werde alles vereinfacht. Solche Vorwürfe und noch viele andere
     sind nur sehr berechtigt. Da jedes Mal vou fünf Büchern die Rede ist, stehen für jedes vierzehn bis fünfzehn
     Minuten zur Verfügung, und so für jeden der vier Teilnehmer etwa dreieinhalb Minuten pro Titel. In diesen
     dreieinhalb Minuten soll etwas über den Autor gesagt werden, über das Thema und die Problematik seines neuen
     Buches, über dessen Motive und Personen, über die künstlerischen Mittel und manchmal auch über bestimmte
35  aktuelle Aspekte. Wir können nur kurz sagen, welchen Eindruck die Bücher auf uns gemacht haben, und was
    unserer Ansicht nach an ihnen gut oder schlecht ist.

     Lohnt sich das? Wie man hört, hat es in der Geschichte des deutschen Fernsehens noch keine Sendung
    gegeben, die auf den Verkauf von literarischen Werken einen so direkten und so starken Einfluss gehabt hat wie
     das "Quartett". Aber gehört denn dies zu den Aufgaben oder sogar Pflichten der Kritik?

Nach Marcel REICH-RANICKI, Mein Leben, 1999

(1) die Einblendung, cf. einblenden : insérer
(2) das Gesetz : la loi
(3) vermitteln : servir de médiateur
(4) die Unterhaltungssendung, cf. unterhalten : divertir
(5) verheimlichen : cacher

I - Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.

1. Der Autor ist / Dichter / Nachrichtensprecher / Literaturkritiker / Reporter.

2. 1987 bot man ihm an, / ein Buch zu schreiben / eine Fernsehsendung zu leiten / die Kritik einer Sendung zu machen / eine Literaturzeitschrift zu gründen.

II. Richtig oder falsch? Rechtfertigen Sie jeweils Ihre Antwort mit einem Zitat aus dem Text.

Beispiel
0. Falsch
Zitat : Ob ich Lust hätte, für das ZDF eine regelmäßige Literatursendung zu machen? (Z. 4-5)
0. 1987 bekam der Erzähler ein Angebot von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

1. Der Erzahler wünschte schon lange, eine regelmäßige literarische Sendung zu machen.
2. Der Erzähler war sicher, dass er Dinge verlangte, die nicht zu realisieren waren.
3. Typisch für "Das literarische Quartett" ist, dass die Autoren selber nicht eingeladen werden.
4. Die Diskussionen werden oft durch Bilder oder Musik unterbrochen.
5. Über jedes Buch kann stundenlang diskutiert werden.
6. "Das literarische Quartett" wendet sich nur an eine interessierte Minderheit.
7. Das Publikum geniesst den immer harmonischen und ruhigen Ton der Diskussionen.
8. Auch Leute, die sonst nicht so gern lesen, lassen sich von dieser Sendung beeinflussen.

III - Wie sind folgende Sätze zu verstehen? Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.

1. "Aber die Herren überhörten meine Antwort." (Z. 5-6)
Die Herren verstanden die Antwort nicht.
Die Herren wollten die Antwort nicht hören.
Die Herren konnten die zu leise gesprochene Antwort nicht hören.

2. "Die zwei Herren atmeten durch die Nase tief ein, und erklärten leise: 'Einverstanden'."(Z. 14-15)
Die zwei Herren akzeptierten Reich-Ranickis Bedingungen, obwohl es ihnen schwer fiel.
Die zwei Herren akzeptierten begeistert Reich-Ranickis Bedingungen.
Die zwei Herren konnten auf keinen Fall solche Bedingungen akzeptieren.

3. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gespräch sind."
Kritiker sollen bekannte Bücher besprechen.
Kritiker haben nicht nur über Bestseller zu sprechen.
Kritiker sollen nur Gespräche über aktuelle Themen führen.
 

LE CORRIGÉ

Literatur und Kritik

Marcel Reich-Ranicki war lange Zeit verantwortlich für die Literaturseiten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

     Ich wollte, wie jeder Kritiker, erziehen, doch nicht die Schriftsteller. Ich hatte vielmehr das Publikum
     im Auge. Um es ganz einfach zu sagen : Ich wollte den Lesern erklären, warum die Bücher, die ich für gut und
     schön halte, gut und schön sind, ich wollte sie dazu bringen, diese Bücher zu lesen.

     Im Sommer 1987 besuchten mich zwei Herren vom Zweiten Deutschen Fernsehen. Ob ich Lust hätte,
 5  für das ZDF eine regelmässige Literatursendung zu machen? Ich sagte mit Entschiedenheit : Nein. Aber die
     Herren überhörten meine Antwort. Hingegen wollten sie wissen, ob und wie ich mir eine solche Sendung
     vorstelle. Ich dachte mir. Ich werde verschiedene Bedingungen stellen, bis die Herren resigniert aufgeben. Es
     solle, sagte ich provozierend, jede Sendung mindestens 60 Minuten dauern, besser 75. In dieser Sendung, sagte
     ich, dürfe es weder Bild - noch Filmeinblendungen(1) geben, keine Lieder oder Chansons, keine Szenen aus
10  Romanen, keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder, in einem Park spazieren gehend, diese Werke
     erklärten. Auf dem Bildschirm sollten nur die vier Personen zu sehen sein, die ihre Meinung über Bücher äußern
     und, wie zu erwarten, sich auch streiten würden. Ich hatte es gewagt, gegen das Gesetz(2) des Fernsehens, gegen
     die Dominanz des Visuellen zu rebellieren. Es war klar : Dies würden die beiden Herren nicht akzeptieren.
     Gespannt wartete ich auf ihre Reaktion. Die zwei Herren atmeten durch die Nase tief ein, und erklärten leise :
15  "Einverstanden."

     Am 25. März 1988 wurde "Das literarische Quartett" zum ersten Mal ausgestrahlt.

     Was wollte ich mit dieser Sendung erreichen? Das "Quartett" sollte vermitteln(3) zwischen den
     Schriftstellern und den Lesern, der Kunst und der Gesellschaft, der Liter atur und dem Leben.

     War es eine Unterhaltungssendung(4) über Literatur, die ich geplant hatte? Nein, das war nicht mein
20  Ziel, aber wenn das "Quartett" viele Zuschauer amüsiert, dann freut mich das. In der Tat, wir wollen auch
     unterhalten. Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gespräch sind. Aber wir sehen es
     gern, wenn die Bücher, die wir behandeln, ins Gespräch kommen. Wir folgen nicht den Bestsellerlisten. Aber
     wir sind zufrieden, wenn die Bücher, die wir empfehlen, auf den Bestsellerlisten erscheinen.

     Zum Publikum des "Literarischen Quartetts" gehören neben Lesern und Kennern der Literatur auch
25  Menschen, die von Literatur nichts wissen wollen. Manchmal sehen sie uns dennoch zu, wohl deshalb, weil sie
     Spass an unseren Gesprächen haben und vielleicht auch an unserem Streit. Anscheinend lesen diese Zuschauer -
     oft selber von ihrem plötzlich erwachten Interesse überrascht - das eine oder andere Buch, das wir besprochen
     haben. Ich will nicht verheimlichen(5), dass mir gerade diese Zuschauer besonders wichtig sind.

     Viel wird dem "Quartett" vorgeworfen. Am häufigsten hört man, die Sendung sei banal, populistisch,
30  nichts werde hier wirklich begründet, dagegen werde alles vereinfacht. Solche Vorwürfe und noch viele andere
     sind nur sehr berechtigt. Da jedes Mal vou fünf Büchern die Rede ist, stehen für jedes vierzehn bis fünfzehn
     Minuten zur Verfügung, und so für jeden der vier Teilnehmer etwa dreieinhalb Minuten pro Titel. In diesen
     dreieinhalb Minuten soll etwas über den Autor gesagt werden, über das Thema und die Problematik seines neuen
     Buches, über dessen Motive und Personen, über die künstlerischen Mittel und manchmal auch über bestimmte
35  aktuelle Aspekte. Wir können nur kurz sagen, welchen Eindruck die Bücher auf uns gemacht haben, und was
    unserer Ansicht nach an ihnen gut oder schlecht ist.

     Lohnt sich das? Wie man hört, hat es in der Geschichte des deutschen Fernsehens noch keine Sendung
    gegeben, die auf den Verkauf von literarischen Werken einen so direkten und so starken Einfluss gehabt hat wie
     das "Quartett". Aber gehört denn dies zu den Aufgaben oder sogar Pflichten der Kritik?

Nach Marcel REICH-RANICKI, Mein Leben, 1999

(1) die Einblendung, cf. einblenden : insérer
(2) das Gesetz : la loi
(3) vermitteln : servir de médiateur
(4) die Unterhaltungssendung, cf. unterhalten : divertir
(5) verheimlichen : cacher

I - Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.

1. Der Autor ist / Dichter / Nachrichtensprecher / Literaturkritiker / Reporter.

Der Autor ist Literaturkritiker.

2. 1987 bot man ihm an, / ein Buch zu schreiben / eine Fernsehsendung zu leiten / die Kritik einer Sendung zu machen / eine Literaturzeitschrift zu gründen.

1987 bot man ihm an, eine Fernsehsendung zu leiten.

II. Richtig oder falsch? Rechtfertigen Sie jeweils Ihre Antwort mit einem Zitat aus dem Text.

Beispiel
0. Falsch
Zitat : Ob ich Lust hätte, für das ZDF eine regelmäßige Literatursendung zu machen? (Z. 4-5)
0. 1987 bekam der Erzähler ein Angebot von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

1. Der Erzahler wünschte schon lange, eine regelmäßige literarische Sendung zu machen.
Falsch, "Ich sagte mit Entschiedenheit : Nein." (Z. 5)

2. Der Erzähler war sicher, dass er Dinge verlangte, die nicht zu realisieren waren.
Richtig, "Ich werde verschiedene Bedigungen stellen, bis die Herren resigniert aufgeben." (Z. 7)

3. Typisch für "Das literarische Quartett" ist, dass die Autoren selber nicht eingeladen werden.
Richtig, "[...] keine Schriftsteller, die aus ihren Werken vorläsen oder [...]" (Z. 10-11)

4. Die Diskussionen werden oft durch Bilder oder Musik unterbrochen.
Falsch, "[...] dürfe es weder Bild - noch Filmeinblendungen geben [...]" (Z. 9)

5. Über jedes Buch kann stundenlang diskutiert werden.
Falsch, "Da jedes Mal von fünf Büchern die Rede ist, stehen für jedes vierzehn bis fünfzehn Minuten zur Verfügung [...] etwa dreieinhalb Minuten pro Titel." (Z. 31-32)

6. "Das literarische Quartett" wendet sich nur an eine interessierte Minderheit.
Falsch, "Zum Publikum des "Literarischen Quartetts" gehören [...] auch Menschen, die von Literatur nichts wissen wollen." (Z. 24-25)

7. Das Publikum geniesst den immer harmonischen und ruhigen Ton der Diskussionen.
Falsch, "[...] weil sie Spass an unseren Gesprächen haben und vielleicht auch an unserem Streit." (Z. 26)

8. Auch Leute, die sonst nicht so gern lesen, lassen sich von dieser Sendung beeinflussen.
Richtig, "Anscheinend lesen diese Zuschauer - [...] das eine oder andere Buch [...]" (Z. 26-27)

III - Wie sind folgende Sätze zu verstehen? Schreiben Sie jeweils die richtige Antwort ab.

1. "Aber die Herren überhörten meine Antwort." (Z. 5-6)
Die Herren verstanden die Antwort nicht.
Die Herren wollten die Antwort nicht hören.
Die Herren konnten die zu leise gesprochene Antwort nicht hören.

Die Herren wollten die Antwort nicht hören.

2. "Die zwei Herren atmeten durch die Nase tief ein, und erklärten leise: 'Einverstanden'."(Z. 14-15)
Die zwei Herren akzeptierten Reich-Ranickis Bedingungen, obwohl es ihnen schwer fiel.
Die zwei Herren akzeptierten begeistert Reich-Ranickis Bedingungen.
Die zwei Herren konnten auf keinen Fall solche Bedingungen akzeptieren.

Die zwei Herren akzeptierten Reich-Ranickis Bedingungen, obwohl es ihnen schwer fiel.

3. "Es ist nicht unsere Aufgabe, Bücher zu behandeln, weil sie im Gespräch sind."
Kritiker sollen bekannte Bücher besprechen.
Kritiker haben nicht nur über Bestseller zu sprechen.
Kritiker sollen nur Gespräche über aktuelle Themen führen.

Kritiker haben nicht nur über Bestseller zu sprechen.
 

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